7.09.2023
Kulturlandschaft
Partizipation
Vielfältige Kulturlandschaft, Herausforderung Generationswandel sowie Publikumsgewinnung – Zusammenfassung der Interviews
Im Rahmen der Kulturentwicklungsplanung (KEP) für das Land Rheinland-Pfalz wurden Interviews mit ausgewählten Persönlichkeiten (sog. „Expert:innen-Interviews“) durchgeführt, mit denen subjektive Wahrnehmungen, Meinungen und Stellungnahmen zum Kulturleben und -angebot in Rheinland-Pfalz erfasst werden sollten. In diesem Beitrag werden die wichtigsten Aspekte der Interviews zusammengefasst.
Bei allen Aussagen ist zu berücksichtigen, dass es sich um persönliche Einschätzungen handelt und der Kreis der Interviewpartnerinnen und -partner begrenzt war. Insgesamt wurden 14 Persönlichkeiten bei 13 Interviews befragt, die durch ihre Kenntnis der rheinland-pfälzischen Kultur ausgewiesen sind, eine gewisse Multiplikatorenrolle für die öffentliche Meinung wahrnehmen oder einen kritischen Blick von außen ermöglichen und bis auf drei Ausnahmen nicht selbst in den Kultureinrichtungen und -fördersystemen des Landes verankert sind. Zudem kamen die Befragten aus verschiedenen Landesteilen, was den Blick auf die gesamte Kulturlandschaft in gewisser Weise regional fokussiert. Die Auswahl der Interviewpartnerinnen und -partner erfolgte in Abstimmung mit der Kulturabteilung im Ministerium für Familie, Frauen, Kultur und Integration.
Die Befragung erfolgte anhand eines Interview-Leitfadens mit standardisierten Fragen, der mit der Kulturabteilung abgestimmt war.
Auch wenn statistische Repräsentativität nicht beansprucht werden kann, so gibt die Auswertung doch einen Einblick in das Kulturleben des Landes, der in vielen Punkten die Realität widerspiegelt und plausibel erscheint, aber auch Besonderheiten hervorhebt, die für den kulturpolitischen Diskurs im Rahmen der KEP weiterverfolgt werden können.
Die Interviews fanden in der Zeit vom 31.5. bis zum 23.6.2023 statt.
Zusammenfassung der Einschätzungen
- Die Kulturlandschaft in Rheinland-Pfalz sei breit und vielfältig aufgestellt. Das öffentlich getragene Einrichtungsspektrum weise keine Lücken auf: Bis auf ein eigenständiges Konzerthaus seien alle Kultureinrichtungen und Kunstsparten im Land vertreten. Im Vergleich mit dem Gesamtportfolio erreiche keine Einrichtung eine außergewöhnliche Alleinstellung. Eine überregionale Wahrnehmung kommt den Nibelungen- Festspielen, den Landesaustellungen, dem Kultursommer, dem Staatstheater Mainz mit seiner Tanzsparte, dem Gesamtkomplex Kulturelles Erbe und den Kulturlandschaften an Rhein und Mosel zu.
- Außerhalb des kommunal getragenen Kulturbereichs werden die Einrichtungen und Aktivitäten der freien Szene wahrgenommen und wertgeschätzt, jedoch in ihrer Breite und Qualität aktuell nicht als eine besondere Stärke gesehen. Insgesamt erscheinen die Strukturen der Kunstszene und des Kulturangebots in freier Trägerschaft schwach ausgeprägt. Herausragende Projekte, Festivals oder Kulturorte werden in den Interviews kaum benannt. Ausnahmen sind das Unterhaus Mainz und die Tuchfabrik Trier. Auch Künstlerpersönlichkeiten spielen keine Rolle in der Wahrnehmung des rheinland-pfälzischen Kulturlebens.
- Dem Kulturangebot wird insgesamt eine befriedigende Grundversorgung attestiert, die dem Bedarf der Bürgerinnen und Bürger entspricht. Vermisst werden aber sogenannte „Leuchttürme“. Die Kulturangebote im ländlichen Raum würden durch ein hohes zivilgesellschaftliches Engagement ermöglicht. Verbreitet sei die Vereins- und Festkultur. Aber Breite und Vielfalt des kulturellen Angebots seien vielen Menschen nicht bekannt. Gemessen am Potential sei die Nachfrage zu gering. Der demographische und Generationenwandel wird als große Herausforderung bewertet. Dies betreffe vor allem die Kulturnutzung durch die jüngeren Generationen, aber auch durch die Bevölkerungsgruppen mit migrantischem Hintergrund.
- Als Schwäche der Kultur in Rheinland-Pfalz werden die Ressourcen benannt. Dies betrifft die angespannte Ausstattung der Kulturetats auf kommunaler und Landesebene, aber auch die personellen Kapazitäten. Es fehle an Planungssicherheit und Verlässlichkeit der Kulturförderung. Mäzenatentum und Sponsoring seien wenig verbreitet. Beklagt wird ein mangelndes Selbstbewusstsein der Kulturverantwortlichen und eine fehlende Wertschätzung der Kultur in der Gesellschaft. Der künstlerische Nachwuchs werde zu wenig unterstützt und sei nicht ausreichend vernetzt. Aufgrund beschränkter Förderzugänge gebe es zu wenig professionell ausgeübte Kunst in Rheinland-Pfalz. Geringe Risikobereitschaft, das Festhalten an altbewährten Formaten und zu wenig künstlerische Experimente und neue künstlerische Präsentationsformen seien die Folge.
- Nachholbedarf wird auch für die Förderung der jungen Kunst- und Kreativszene und der Soziokultur reklamiert. In diesem Zusammenhang werden die Auflage von Stipendienprogrammen und Starthilfen für junge Kunstschaffende, eine Auftrittsförderung sowie vereinfachte, kurzfristige Förderverfahren vorgeschlagen. Die Logik der Förderstrukturen sollte von der derzeit überwiegenden Projekt- zur institutionellen Förderung verändert werden. Spezifische Förderprogramme sollten für die Bildende Kunst, die freien Theater und die Soziokultur ausgewiesen werden. Durch mittelfristig bindende Förderzusagen solle Planungssicherheit gewährleistet werden. Zudem sollten mit Unterstützung des Landes Finanzierungszugänge außerhalb der Kulturförderung erschlossen werden (z.B. EU- Programme). Schließlich wird eine gesetzliche Verankerung der Kulturförderung gefordert: „Kultur als Pflichtaufgabe“.
- Die Verteilung der Kultureinrichtungen im Land wird von den Befragten übereinstimmend als zufriedenstellend bewertet; eine stärkere Konzentration der Kulturangebote wird nicht gesehen, sondern noch eher eine Verstärkung der Dezentralität befürwortet. Die flächendeckende und kleinräumige Infrastruktur für kulturelle Nutzungen genießt eindeutig Priorität, mit der vor allem auch der ländliche Raum versorgt werden solle. Gewünscht werden Kulturorte mit Treffpunktcharakter, die niedrigschwellige Zugänge für möglichst viele Alters- und Bevölkerungsgruppen gewährleisten und multifunktional nutzbar sind: als Begegnungsstätten und „Orten der Demokratie“, mit Ateliers, Workshops, Probenräumen, Ausstellungsmöglichkeiten sowie Veranstaltungsräumen für die Bildende Kunst, Musik- und Theateraufführungen freier Ensembles. Hier wird auf das Modell der „Dritten Orte“ verwiesen, durchaus auch in Kombination mit vorhandenen Kultureinrichtungen.
- Bei der Beurteilung, welchen Stellenwert ausgewählte kulturelle Handlungsfelder in Rheinland-Pfalz aktuell einnehmen, kommt der „Kultur- und Brauchtumspflege“ und dem „Kulturellen Erbe und Erinnerungskultur“ eine besonders große Bedeutung zu. Von den 18 möglichen Handlungsfeldern landen die „Nachhaltige und ressourcenschonende Kulturarbeit“ sowie die „Künstlerischen Experimente/ Innovationen“ auf den letzten Plätzen. Auf die Frage, welche die drei wichtigsten kulturellen Handlungsfelder sind, in denen das Land Rheinland-Pfalz zukünftig aktiver werden sollte, wird an erster Stelle der „Kulturtourismus“ genannt. Es folgen die „Kulturarbeit im ländlichen Raum, u.a. dezentrale Angebote in den Gemeinden“, die „Digitalisierung“ die „Kulturelle Bildung, u.a. in Schulen“, die „Publikumsentwicklung (Audience Development) und die „Künstlerischen Experimente/ Innovationen“.
- Der Stellenwert der rheinland-pfälzischen Kultur über die Landesgrenzen hinweg sei vergleichsweise schwach ausgeprägt. Dies gelte für die bundesweite und europäische Ausstrahlung ebenso wie die Bedeutung in der Metropolregion Rhein – Main – Neckar. Lediglich die Teilregion Trier – Luxemburg verzeichne einen guten Stellenwert. Es gibt keinen eindeutigen „Champion“ – die eine Einrichtung oder die eine Veranstaltung -, die in der Kulturlandschaft von Rheinland-Pfalz eine besondere Rolle für den überregionalen Stellenwert spielt. Denn am häufigsten wird das kulturelle Erbe genannt: der Komplex – oder das Cluster – der Kulturdenkmäler und Welterbestätten aus der Römerzeit und dem Mittelalter, mit Kirchen, Burgen, Schlössern und den SCHUM- Gedenkorten.
- Es seien vor allem die Faktoren des demographischen Wandels, die die Kulturentwicklung in Rheinland-Pfalz zukünftig maßgeblich mitbestimmen, die sozialen Strukturen verändern und gesellschaftliche Haltungen beeinflussen werden. Genannt werden Themen wie Zuwanderung, Diversität, Interkulturalität, Inklusion, Überalterung, prekäre Lebenssituationen und soziale Gerechtigkeit. Die Bewältigung der Migration wird auch als besondere kulturpolitische Herausforderung gesehen, um gesellschaftliche Ghettos zu verhindern und Integration zu erreichen. Klimaneutralität und Nachhaltigkeitsziele sind gesellschaftspolitische Megathemen, mit denen sich die Kulturpolitik auseinandersetzen müsse. Transformationsprozesse für die kulturelle Infrastruktur, klimasensible Veranstaltungsformate und Mobilitätskonzepte werden das Profil der Kulturlandschaft verändern. Die fortschreitende Digitalisierung setze sich im Kulturbereich immer stärker durch und beeinflusse durch multimediale Formate und das Miteinander von analogen und digitalen Kulturorten die kulturelle Teilhabe und das Publikumsverhalten.
- Zwei Schwerpunktthemen sollen laut der Interviewten in den kommenden Jahren auf der kulturpolitischen Agenda in Rheinland-Pfalz ganz oben stehen: die Kulturfinanzierung und -förderung und die Publikumsgewinnung. Dabei stelle sich die Zukunft der Kulturfinanzierung in den Kommunen und auf Landesebene nicht nur als monetäre Herausforderung dar, sondern wird mit der Frage der Kulturförderung und der Verteilungsgerechtigkeit verbunden. Eine Revision und eine Neustrukturierung der Förderlandschaft werden als adäquate Maßnahmen gesehen. Dazu sollten die bisherige Kulturförderung evaluiert und Förderstrukturen entwickelt werden, die u.a. eine Profilbildung einzelner Förderbereiche ermöglichen. Publikumsentwicklung und kulturelle Teilhabe bilden ein zweites Zukunftsthema. Es zielt auf den Generationenwandel und die Ansprache migrantischer Communities. Es gehe aber auch darum, Publikum (zurück)zugewinnen, das u.a. aufgrund der Corona- Restriktionen den Kontakt zu Kulturangeboten verloren hat. Aber auch andere Faktoren sollten für eine stärkere kulturelle Teilhabe sorgen: der Ausbau der Kulturellen Bildung, bessere öffentlicher Nahverkehr im ländlichen Raum, Einbeziehung der migrantischen Kulturen und die Berücksichtigung von Diversität in den Kultureinrichtungen selbst.
Stimmen Sie den Einschätzungen der befragten Expertinnen und Experten zu? Wo sehen Sie etwas anders oder möchten etwas ergänzen? Lassen Sie es uns gerne in den Kommentaren wissen.
Für alle, die sich detaillierter einlesen möchten, steht hier die Langfassung der Interview-Auswertung zum Download zur Verfügung.
Knut Aufermann